History repeating

Blogs wechseln ist bei mir leider eine schlechte Angewohnheit. Die Älteren unter uns werden sich erinnern. Und nun hab ich’s schon wieder getan! Allerdings für mehr Freiheit, und so. Denn ich wollte mal alles selbst machen, und daher hab ich mir jetzt einen Blog mit eigener URL und viel mehr Selbstmachen (alles wäre vielleicht doch etwas übertrieben) zugelegt. Der ist noch ein bißchen im Aufbau, aber ich bin halt eher so eine Schildkrötenbloggerin. Gemächlich.

Also: hier geht’s weiter. www.klirrr.de

Schaut doch mal rein.

Ein Wieder-Da-Post: Filmfestivals, LEGO, Internet und so.

So: wieder da. Viel zu viele Wochen mehr oder weniger unfreiwilliges Blogbrachland liegen hinter mir, was mir besonders leid tut, nachdem es bei meinen letzten Blogpost im Januar (gottohgott) so viel Resonanz gab, auf die einzugehen ich schon da nicht mehr richtig Zeit hatte. Dafür noch mal: sorry! Abgelenkt war ich durch so Lebensdinge wie eine Wohnung suchen und finden, einen neuen Job in einer neuen Stadt anfangen, umfangreich und in mehreren Portionen umziehen und irgendwie ein, so heißt es wohl, neues Leben anfangen, nicht radikal neu-neu, aber so ein bißchen.

Zeitgleich ging meine komplette Online-Frei-Zeit für ein anderes Herzensprojekt von mir drauf, nämlich die Online-Redaktion (plus Social-Media-Parade) für das Frankfurter Filmfestival LICHTER, das in diesem Jahr nicht nur mehr Programm hatte, sondern auch noch einen kompletten Website-Relaunch wenige Wochen vor dem Festival. Das macht viel Spaß, wäre aber im Prinzip mindestens eine Halbtagsstelle, die dementsprechend neben einer vollen Lohnarbeit dann doch etwas stressig werden kann. Dazu ließe sich erörtern, wie chronisch unterfinanziert viele ambitionierte Kulturangebote trotz ihrer Bedeutung fürs Stadtleben sind und wie sie ohnehin nur durch leidenschaftliche Selbstausbeutung und Ehrenamt zustande kommen können – mach ich vielleicht mal demnächst, aber das Problem ist vermutlich hinlänglich bekannt. Ich war jedenfalls schwer damit beschäftigt, viele Dinge ins Netz zu tun (nur nicht hier) und habe am Festival selbst noch ein bißchen offline agiert und in Mikrofone gesprochen (und geglitzert).

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Unterdessen sind viele Themen gekommen und gegangen, zu denen unfertige Blogposts in meiner Kopf schwurbelten (und um die es rückblickend betrachtet auch nicht wirklich schade ist. Kann im Internet auch mal von Vorteil sein, der Zeitmangel.) Unter anderem Gedanken gemacht habe ich mir zu LEGO.

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„Natürliches Make-up“ als Gesichter-Default. Oder: So wie ich, nur in hübsch.

Die letzten Tage kursierte das Video „Fotoshop by Adobé“ des Filmemachers Jesse Rosten durchs Netz, in dem er die durch digitale Bildbearbeitung verzerrten Schönheitsstandards in Werbung, Magazinen etc. aufs Korn nimmt: „There’s only one way to look like a real covergirl: it’s (Ph)Fotoshop“. Photoshop ist zum Symbol für diese problematische Entwicklung geworden – was etwas in die Irre führt, schließlich trifft ja nicht das Programm die Schuld, sondern die Entscheider_innen, die damit diesen Look kreieren. Well, so ist es eben griffiger. Es geht darum, den eigenen Körper nicht als mangelhaft zu empfinden im Vergleich zu einer Perfektion, die am Computer entstanden ist. Nicht Zeit, Geld, Emotionen und Gesundheit darauf zu verschwenden. Statt dessen eine Vorstellung von Schönheit in Frage zu stellen, die furchtbar eindimensional und einschränkend ist und die ohnehin nur digital wirklich erreicht werden kann. Trotz der offenkundigen Künstlichkeit versuchen uns die Hochglanzbilder der Magazine, der Werbung oder Modewelt aber doch weiszumachen, sie seien irgendwie natürlich, und die abgebildeten Models und Celebrities derartig makellos. Auf das wir Produkte erwerben, um uns der Makellosigkeit anzunähern – oder unser Defizit zumindest zu kompensieren.

Diese Opposition von künstlich und (vermeintlich) „natürlich“ stößt mir auch an anderer Stelle sauer auf. Und zwar bei einer der perfidesten Erfindungen der modernen Kosmetikindustrie: dem so genannten „natürlichen Make-up“. Weiterlesen

Das erste Mal: einen Jahresrückblick schreiben. Sort of.

Huch! Das Jahr ist rum. Und was für ein Jahr das war. Voller erster Male. Eine unrepräsentative Auswahl:

  • Was ich 2011 zum ersten Mal gemacht habe: einen Job gekündigt, einen Sprinter gefahren, Interviews vor Publikum geführt (auf deutsch und englisch!).
  • Wo ich 2011 zum ersten Mal war: Barcelona, Genf, re:publica, Berlinale (endlich!), Slutwalk, Arbeitsamt.
  • Was ich 2011 gelernt habe: Absagen zu bekommen, Abzuwarten, Aufzubrechen, Abschied zu nehmen (überhaupt vieles mit „A“), zu Sparen und Sprinter zu fahren.

Für 2012 scheint mir das eine solide Basis zu sein. Für viele weitere erste Male. Die sind nämlich, abgesehen von gelegentlichen Gefühlen von Lächerlichkeit und Verzweiflung Frustration, eine ziemlich spannende Sache. Daher wünsche ich Euch auch viele erste Male für das nächste Jahr*: zunächst mal, unbeschadet und auf die bestmögliche Weise zum ersten Mal 2012 zu haben. Und dann sehen wir weiter!

*(oder auch zweite, dritte und vierte Male – von allem, was gut tut)

Fest der Liebe, Lall und Lüll.

Wollte gerade mit der Weihnachtskocherei beginnen. Zutaten stehen bereit. Mutter schnuppert am Portwein, sagt: das hier ist der Portwein. Ich schnuppere: Mhmmm! Da kann ich ja schon mal einen Schluck nebenbei… Mutter kramt mir darauf ein Gedicht raus. Dies erfreute mich so, dass ich die Kocherei kurz aufschiebe und dies flink hier notiere. Denn Weihnachten begegnet Mensch bekanntlich am besten mit, genau, Humor. Und vielleicht ein bißchen Wein.
In diesem Sinne wünsche ich: köstliche Weihnachten! Ich gehe dann mal kosten, also, ich mein, kochen.

Fritz Eckenga
Der Wein war ein Gedicht

Kartoffeln schälen,
Möhren schaben,
Derweil schon sich am Weißen laben.
Fisch beträufeln
Und gelassen
Den Roten abseits atmen lassen.

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Jahresrückblick zum Thema Gleichstellungs- und Familienpolitik in weniger als 4 Sekunden!

Es ist die wieder die besinnliche Zeit der Jahresrückblicke, des Wahnsinns und der Albernheiten. Frohes Fest!

Dekoration separat erhältlich.

  

Küchen Keie! Dein 20-Jahre-Jubiläumsplakat ziert eine recht junge Dame, die ihrer Kleidung nach zu urteilen gerade auf dem Weg zu ihrem Abschlussball ist. In einer Küche läuft sie also vor allem Gefahr, sich das Kleid zu ruinieren (auch sieht eure Küche nicht so aus, als fände da gerade eine Party statt). Eine Küche hat sie, ihrem Alter nach zu urteilen, vermutlich auch noch nie gekauft. Zu euren Kunden (die, die wissen warum) zählt sie demnach eher nicht. Hätte sie das Geld für eine eurer Küchen – ich wage zu behaupten, dass sie es, je nach Gusto, eher fürs Backpacken durch Südostasien oder eine Prada-Handtasche auf den Kopf hauen würde. Es bleibt also die Frage: was treibt sie da auf eurem Plakat?

Ähnliches muss ich mich beim „Main-Taunus-Zentrum“ fragen, wird doch dessen Neueröffnung von einer ähnlich schick gewandeten Dame flankiert. Sie geht vielleicht zu einer Salsa-Party, aber eher nicht ins Shopping-Center. Dort könnte sie dieses festliche Outfit zwar ohne weiteres erwerben. Ob das als Werbekonzept aber so durchdacht ist? Denn erwerben könnte sie dort (immerhin „Hessens größtes Shopping-Center“) sicher auch Waffeleisen, Squash-Schläger, Hundeleckerlis und externe Festplatten.

Also, ihr Möbel- und Küchenfachgeschäfte, Elekromärkte, Einkaufscenter und lokale Radiosender. Was ist das immer mit den Mädchen in Ballkleidern? Raffinierte, kluge Werbestrategien sind jedenfalls nicht euer Begehr. Ob das nun eine Geldfrage ist, schlechte Beratung oder ob ihr es tatsächlich für eine total schicke Idee haltet – jedenfalls zieren eure Jubiläums-, Sonderangebots-, Neu- oder Wiedereröffnungsplakate nur zu gerne eine junge Dame in festlichem Outfit. Eine inhaltliche Verbindung zu Produkt, Haus oder Marke herzustellen ist dabei eine überflüssige Mühe, was den Models einwandfrei eine reine Dekofunktion zuweist. Hat ja auch Tradition, irgendwie, und wird in manchen Kontexten auch gerne live zelebriert. Als vordergründige Verbindung genügt die Konnotation „festlich“ und „besondere Gelegenheit“ = Mädchen in festlicher Gewandung. Und wir sind ja auch so schön daran gewöhnt.

Einfach schlechte Werbung, nicht der Rede wert? Naja. Mich wundert jedenfalls nicht, dass auf der immerwährenden ToDo-Liste im Unterbewusstsein vieler Mädchen und Frauen der Punkt „eine Zierde sein“ oft ziemlich weit oben steht.

Die Frage, ob in deutschen Marketingabteilungen Goethe gelesen wird

Im Kino gewesen. Dabei über eine Art Filmplakat-Tryptichon für den demnächst anlaufenden Science-Fiction-Thriller „In Time“ gestolpert. Dem Trailer nach zu urteilen erstmal ganz attraktiv (zumindest für mich mit Sci-Fi-Faible): eine Art technisch-medizinische Dystopie, in der Lebenszeit zur Ware und Währung geworden ist. Das Motiv erinnert an „Logan’s Run“, wird bei „In Time“ aber auf die Jetztzeit und soziale Konflikte übertragen. Alle bleiben jung, doch die Armen können sich lediglich die Grundversorgung an Zeit leisten (ein Kaffee kostet 5 Minuten!) und werden kaum älter als 25, während die Reichen ewig zu leben scheinen. Auf Modulen gespeicherte Lebenszeit wird zum begehrten und gejagten Objekt, denn natürlich basiert die Macht der Oberklasse auf der ungleichen Verteilung. Und so jagen also attraktive junge weiße Menschen in attraktiven Szenarien einander die Zeit ab. Soweit der Eindruck nach dem Trailer. Der dystopie-erprobte Regisseur (Andrew Niccol, u.a. „Gattaca“, „Truman Show“) und die Cast machen mich durchaus neugierig, denn neben Justin Timberlake (mit dem ich als Schauspieler noch meine Probleme habe) gibt es zwei „von der Erfolgsserie auf die Leinwand“-Darsteller (Vincent Kartheiser aus „Mad Men“, Johnny Galecki aus „The Big Bang Theory“) und meinen Lieblings-Hermaphrodit Cillian Murphy (siehe „Breakfast on Pluto“) zu sehen.

Nach diesem etwas zu ausführlichen Nerdetten-Intro zurück zum eigentlichen Thema: das Filmplakat, bzw. die Plakate.

   
Quelle: critic.de, filmstarts.de

Dies ist die englische/internationale Version. Recht typische Sci-Fi-Farben und auch die Slogan-übers-Gesicht-Gestaltung ist gerade sehr en vogue. In der deutschen Kino-Version, wie ich sie gestern hängen sah (und die ich online nicht finden konnte), gibt es allerdings einen kleinen Unterschied. Die Plakate sind zwar identisch und über Justin Timberlakes Gesicht steht, entsprechend übersetzt, „Zeit ist Macht“. Bei der Hauptdarstellerin Amanda Seyfried allerdings steht, deutlich umgedeutet: „Zeit ist Liebe“. Na sowas.

Das deutsche Marketing entschied sich also von der Fleißbildchenweisheit „Zeit ist Geld“ – und damit ja auch ein stückweit von der Thematik des Films – abzurücken und statt dessen auf eine „klassische“ Zuschreibung zurückzugreifen: Sie die Liebe, er die Macht. Kennen wir ja: Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan! Ob bei der Umsetzung Goehte konsultiert wurde, ich weiß es nicht. Zwar werden auch im mittleren, offiziellen Filmposter die romantische Storyline und das stereotype Kräfteverhältnis (sie blickt zu ihm auf, er hält ihren Nacken) vermittelt, doch immerhin dadurch aufgelockert, dass sie eine Waffe und damit auch ein Machtsymbol in der Hand hält. Dies entspricht den „power/money“-Slogans: Beide Hauptfiguren sind dadurch potentielle Handlungsträger der zu erzählenden Geschichte und also nicht nur romantisch miteinander, sondern auch ins restliche Geschehen involviert. Mit der Umänderung in „Macht/Liebe“ geht für die weibliche Figur diese Anbindung an die eigentliche Zeit-Jagd-Story verloren. Für sie bleibt nur die Liebe – die wir so schon als ihre wichtigeste Antriebsfeder identifizieren, bevor wir den Film überhaupt gesehen haben. Das macht es nicht nur ärgerlich stereotyp, es macht auch als Werbung weniger Sinn: es werden Erwartungen erfüllt statt Neugier zu wecken – was ein Filmplakat ja eigentlich sollte. Inwieweit es dem Film unrecht tut, will ich mir noch kein Urteil erlauben – dank Story und Regisseur könnte er doch etwas mehr hergeben als das, trotz Männerlastigkeit und Amanda Seyfrieds mangaeskem Petticoat-Lolita-Look (sieht zwar gut aus, aber das tun Klischees eben oft).

Eine möglicher Gedanke hinter der in dieser Weise veränderten Übersetzung lässt sich leicht ausmachen: durch Betonung der Love-Story soll ein vermeintlich nur an diesen Dingen (nicht aber an Sci-Fi?) interessiertes weibliches Publikum ins Kino gelockt werden. Nicht nur wird also der weiblichen Figur, wieder einmal, allein die Gefühlsseite der Story zugeschrieben, sondern auch potentiellen Plakatbetrachter_innen suggiert: ‚Hier ist für jede_n was dabei, Gefühl für die Frauen, Action für die Männer, denn so sind eben Frauen und Männer (und das seht ihr als Zielgruppe ja wohl genauso?)‘. Es ließe sich einwenden: schlechtes Marketing, flaches Hollywood, und überhaupt. Das ist nicht falsch. Aber trotz allem: aus diesen „Oberflächenerscheinungen“, diesem Mainstrean ist ein Großteil unseres medialen Alltag zusammengesetzt, und der Einfluss gerade der simplen, vermeintlich leicht zu durchschauenden Zuschreibungen auf unsere Vorstellung von Geschlechtern, deren Vorlieben, Stärken und Schwächen ist dabei nicht zu unterschätzen. Oft genug, wie im obigen Beispiel, bedeutet dies: Eindimensionalität und Einschränkung, für alle. Also, Johann Wolfgang: darüber sprechen wir noch.

Mädchen, sei nicht neidisch! Ein paar lose Neid-Gedanken.

„Sei nicht neidisch!“ war ein Satz, den meine Mutter in ihrer Kindheit oft von ihrer Mutter zu hören bekam. Das war einer der Grundsätze, die ein protestantisches Mädchen in den 50er Jahren zu verinnerlichen hatten. „Nicht neidisch“ hieß gleichzeitig auch „bescheiden“. Nicht fordernd. Nicht drängelnd. Nicht stolz. Sich bescheiden mit dem, was Mädchen hat. Fleißig, genügsam und bloß den Mund haltend.

Ob bei der Erziehung von Mädchen oder generell in christlichem Kontext: der Neid-Begriff wurde oft benutzt, um Menschen klein zu halten – bescheide dich mit dem was du hast, blick nicht zu denen, die mehr haben – Gott weiß schon, warum er das so verteilt hat, und wenn du immer hübsch bescheiden bist und auf keinen Fall neidisch, dann winkt die Seligkeit am Ende.

Neid hat einen außerordentlich schlechten Ruf. Sicher nicht unbegründet: Als Missgunst macht er Menschen zornig, selbstzerstörerisch, unglücklich und vielleicht sogar gewaltbereit. Ich will das, was du hast – und zur Not hole ich es mir mit allen Mitteln. Oder: ich kann niemals haben, was du hast, und das macht mich völlig kaputt und unfähig, das Leben zu genießen. Aber er kann Menschen auch dazu bringen, darüber nachzudenken, warum Andere etwas haben und sie nicht – und wie diese Anderen es bekommen haben, ob vielleicht durch Unrecht oder Ausbeutung. Weil die einen reich geboren sind und die anderen arm. Neid ist zwar nicht per se ein „produktives“ Gefühl. Immerhin heißt es „vom Neid zerfressen“: als Minderwertigkeitsgefühl richtet er sich gegen die eigene Person und Stärke, kann Misstrauen und Gewalt hervorbringen. Aber er ist zugleich wie die dunkle Seite einer Medaille – auf deren anderer Dinge wie sozialer Antrieb und Ungerechtigkeitsempfinden stehen. Gefühle, die dazu führen können, die Ursachen für den Neid zu suchen und beseitigen zu wollen.

Religiöse Gebote (etwa die populären „10“) mit der Aufforderung, nicht des nächsten Weib, Haus oder Gut zu begehren (und der Aufforderung, ihm deswegen nicht den Schädel einzuschlagen), hatten einen Sinn zur Aufrechterhaltung der Gesellschaft – ähnlich Gesetzen. Aber oft genug ging es  „oben Stehenden“ (ob nun materiell, spirituell oder hierarchisch – oft auch alles drei) darum, mit der Verdammung des Neidgefühls eine bestimmte, sie begünstigende Ordnung aufrechtzuerhalten. – Überraschenderweise bin ich nicht die erste, die sich diese Gedanken macht, wie der Wikipedia leicht zu entnehmen ist: „Bereits Aristoteles postulierte einen gerechten Neid bei ungleicher Verteilung der Güter. Der Psychoanalytiker Rolf Haubl unterscheidet zwischen dem negativen feindselig-schädigenden und depressiv-lähmenden und dem positiven ehrgeizig-stimulierenden und empört-rechtenden Neid, der das Gerechtigkeitsgefühl anrege und auf Veränderung dränge.“ Ebenfalls in die gleiche Richtung geht ein Absatz zum Thema Neid in Religionen: „Im Hinduismus wird gesellschaftliche Ungleichheit als Folge des individuellen spirituellen Karmas dargestellt und Neid lediglich als das nicht akzeptierte Karma bzw. Schicksal, das der Welt der Kasten entgegensteht.“ Arm und ausgebeutet dank niedriger Kaste? Tja: schlechtes Karma gehabt. Aber besser nicht neidisch sein, sonst wird das auch im nächsten Leben nichts.

In der kleinbürgerlichen, christlichen Mädchenerziehung (und vermutlich nicht nur dort) hat sich diese Geißelung von (gerechtem?) Neid bei gleichzeitiger Preisung der Bescheidenheit jedenfalls bis weit ins 20. Jhd. gehalten, und ich behaupte, die Folgen sind heute noch spür- und sichtbar. Auch hier galt (gilt?) es eine Ordnung einzuhalten, in der einige mehr haben (z.B. Bewegungsfreiheit, Entscheidungs- und Entwicklungsmöglichkeiten, Erfolgs- und Gewinnstreben, Aufsichtsratsposten) und andere eben weniger.

EDIT: Zusatzinfo für alle Leser_innen, die nicht wie ich den liebenlangen Tag auf Twitter & Co. rumhängen: Angeregt wurde ich zu meinen Gedanken durch diesen Blogpost von Michael Seemann/@mspro, der darin die Reaktionen auf seine Spenden-Aktion kommentiert hat. Mein Text hat damit aber nicht direkt zu tun, es brachte mich nur dazu, über Neid nachzudenken.

Dieses schöne Unbehagen.

Hier jetzt auch noch.

Charlotte Roche soll auf der Buchmesse omnipräsent gewesen sein, mir ist sie leider nicht begegnet. Auch das Rundum-Sorglos-Paket der SPIEGEL-Berichterstattung zu ihrem neuen Buch habe ich nicht verfolgt. Schaulustige, die ich bin, las ich allerdings den „Hallo Charlotte“-Brief von Alice Schwarzer. Drauf  wurde ich dann auch aufs Buch neugierig. Zu dem wurde nun schon alles vorwärts und rückwärts diskutiert – ich bin spät dran. In Unkenntnis der meisten Feuilleton-Artikel sind meine Gedanken aber noch einigermaßen unverstellt. „Feuchtgebiete“ fand ich gar nicht so schlecht: Literarisch nur lala, aber diese Wonne, mit der Roche den Finger genau dahin legt, wo es eklig wird und alle „Iieh“ und „Äähh“ schreien. Trotzdem habe ich mich damals gewundert (allerdings nur ein bißchen), dass vor allem über Analrasur, Avocadokern-Dildos und Menstruationsblut geschrieben wurde, während es doch eigentlich um eine junge Frau geht, die über die Trennung der Eltern und einen traumatischen Selbstmordversuch der Mutter nicht hinwegkommt.

Dieser Selbstmordversuch, bei dem die Mutter auch den kleineren Bruder gleich mit zu töten versucht, wird auch in „Schoßgebete“ erwähnt – nur einmal, unauffällig reingeschmuggelt, geht es doch um noch viel katastrophalere Traumata. Die liegen als derartig dunkler Schatten über dem Buch, dass ich mich schon frage, wie Frau Schwarzer zu ihrem Brieflein kommt. Diese Ebene des Buches, die Beschreibung des Unfalltodes der drei jüngeren Brüder, das Elend, in das er eine Familie stürzt, der fast nicht auszuhaltende Wahnsinn einer solchen Erfahrung – scheint an Schwarzer recht vorbeizugehen. Davon abgesehen, dass sie keinerlei Unterschied zwischen Romanfigur und Autorin macht, ist auch bemerkenswert, was sie alles auslässt. Und was sie so rauspickt – lauter Schwarzer-Köder: Bordellbesuch! Brasilianische Prostituierte! Heizdeckensex! Übermütter! Ach ja.

„Schoßgebete“ funktioniert im Prinzip ähnlich wie „Feuchtgebiete“: es gibt eine sehr persönliche Erzählebene, und eine, die eher Allgemeines, Provokatives verhandelt. Auf mehr oder weniger brachiale Weise werden bei Roche Vorstellungen und Muster in Frage gestellt – sei es nun zu Körpergefühlen und Hygiene (in Feuchtgebiete) oder zu, so hab ich es jedenfalls gelesen, Familienleben, Monogamie und ehelichem Sex, wie und ob dies alles funktioniert. Das formt eine Art provokative Kruste, die gegen Ende zwar etwas redundant und langatmig ist, aber mit netten Spitzen gespickt. („Alice Schwarzer sitzt immer beim Sex zwischen mir und meinem Mann und flüstert mir ins Ohr: ‚Ja, Elizabeth, das denkst du nur, dass du jetzt einen vaginalen Orgasmus hast, das bildest du dir nur ein, um dich deinem Mann und seinem Machtschwanz zu unterwerfen.'“ Find ich ja ganz lustig.) Wie Frau S. nun aber Angst haben kann, dass Roches Leserinnen dies als „Rezept“ verstehen könnten, bleibt ein Rätsel, ist doch die Überspitzung und Ironie offensichtlich. Ebenso wie die unter dieser Kruste liegende Geschichte, die traurig, traumatisch, fürchterlich ist. Die jeden Gedanken bestimmt, den die Romanfigur Elizabeth zur Erhaltung (und Zerstörung) ihrer Selbst und ihrer Familie hat. Hierin finde ich die stärksten Passagen des Buches, die zu lesen bisweilen weh tut (dazu und auch zum Thema Tabubruch in Schoßgebete interessant: der Text von Kadda im Freitag). Wie sie präzise bestimmte Gefühle seziert mag jahrelanger Therapieerfahrung geschuldet sein – nachvollziehen kann sie vermutlich auch, wer deutlich weniger katastrophale Schicksalsschläge kennengelernt hat.

„Immer in einer Sonderstellung. Wie eine Heilige. Alle sollen denken: Ich beiße mich durch. Ich lasse mich nicht unterkriegen. Ich gebe nicht auf, und dafür werde ich bewundert. Es ist auch wirklich schön, bis heute, so wei ein Überwesen bemitleidet zu werden, sodass ich mich auch schon ein bisschen freue, irgendwann mein Kind zu betrauern und meinen Mann.“

In Schicksalsschlägen und schmerzhaften Veränderungen kann eben auch ein Moment der Erhebung liegen: Gezeichnet, herausgehoben zu sein. Es überstanden und ausgehalten zu haben. Traumatisiert zu sein, vielleicht, aber eben auch besonders. Ein schambehaftetes, paradoxes, verbotenes Gefühl: die Sucht nach Mitleid. Ein schönes Gefühl inmitten von schlimmen. Wie Roche dies beschreibt, ist faszinierend und erschütterend: wie ein Blick in den Abgrund.

Ob manche Leser_innen diesen Blick nicht wagen wollen oder keine solchen Abgründe besitzen (bzw. dies meinen), darüber zu spekulieren ist müßig. Ich hoffe jedenfalls, Charlotte Roche steckt auch in Zukunft ihre Finger in die richtig dunklen Stellen. Sie vermag so ein grundsätzliches Unbehagen auszulösen. Das gefällt mir schon allein, weil sie damit Kritiker_innen aus der Reserve lockt, die versuchen, die Unbehaglichkeit mit Herablassung herunterzuspielen und zu bändigen (und dabei selbst ganz schön durchsichtig werden).